Darf er das?


Ein Konzern-Klassiker: Ein Punkt wird zu einem Komma geändert und muss vom Change Advisory Board abgesegnet werden, das nur einmal im Monat tagt. Wer darf den Change einbringen? Wer bewilligt ihn? Ist er wirklich notwendig, oder fragen wir sicherheitshalber lieber nochmal den CIO?

Bis sich jemand dazu bereit erklärt hat, auch wirklich die Verantwortung dafür zu übernehmen, ist das Jahr vorbei.

Woher kommt diese Entscheidungsunfreudigkeit?

Cover my Ass

Schon als Kind und in der Schule wird man für Fehler bestraft und nur für Gefügigkeit belohnt. Neudeutsch: Compliance. Ich will mich nicht blamieren, nirgends anecken und nicht ungut auffallen. Das gibt sonst einen schwarzen Punkt, der beim nächsten Mitarbeitergespräch zum Thema wird und dann kann man sich die Gehaltserhöhung in die Haare schmieren.

In meiner Zeit als Consultant habe ich viele interessante Leute kennengelernt. Viele sind erst in ihrem privaten Umfeld so richtig aufgeblüht, was mich echt überrascht hat. Es war, als ob sie ihre Büro-Maske fallen ließen und dann kam ihr wahres Ich zum Vorschein.

Einerseits gut, dass ich das erleben durfte. Andererseits schlecht, denn im Firmenumfeld wurden sie unterdrückt. Ich habe mich oft stundenlang mit ihnen unterhalten und sie gecoacht, so gut ich konnte. Wir haben selbst Mini-Erfolge gefeiert. Ich möchte das auch nicht kleinreden. Irgendwann ist mir das Muster dahinter aufgefallen.

Die Schwebekosten

Ich weiß schon, dass es Regeln, Richtlinien und Prozesse gibt. Ich finde auch, dass man bei der Auslegung nicht zu kreativ sein sollte. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es nicht so sehr um die Verantwortung geht, sondern eher um die persönliche Absicherung.

Klar, niemand riskiert gerne seinen Job, wenn ein Kollege oder Teammitglied bei der Umsetzung einen Fehler macht. In den Krisensitzungen kam oft zuerst die Frage: "Wer hat das genehmigt?" anstatt "Wie ist der Fehler entstanden?" Deshalb trauen sich viele nicht, ganz klar "Ja" zu sagen. Fast wie beim Standesamt. 😂

Projekte und Changes zu planen dauert oft 100-mal so lange wie die eigentliche Umsetzung. Die Kosten für den Schwebezustand sind schwer zu kalkulieren, aber gefühlt immens hoch. Das sind aber trotzdem nur die aktiven Kosten. Von den passiven Kosten spricht niemand:

  • Wettbewerbsverlust: Während man intern noch diskutiert, bringt der Mitbewerber längst ein neues Produkt auf den Markt.
  • Innovationshemmungen: Gute Ideen versanden oft, weil sich niemand traut, sie umzusetzen.
  • Mitarbeiterabgang: Talentierte Leute verlassen das Unternehmen, weil sie in endlosen Meetings nichts bewegen können.
  • Reputationsschaden: Die Kunden verlieren das Vertrauen, weil die Projekte ewig dauern und die Deadlines nicht eingehalten werden.
  • Motivationsblockade: Teams brennen aus, wenn ihre Ideen und Innovationen in der Schublade auf den Startschuss warten.
  • Ad-hoc-Hektik: Man wartet so lange, bis es nicht mehr anders geht, sprintet dann durch die Umsetzung und die Qualität leidet darunter.

Mut schlägt Zögern

Bevor ein Fehler passiert, der bestraft werden könnte, wird lieber gar nichts gemacht. Kein Fight, kein Flight, sondern Freeze. Je mehr Hierarchieebenen involviert sind, desto länger dauert dann selbst das kleinste "Ja".

Als externer Berater hatte ich es vermutlich immer leichter, weil ich unabhängig von den Hierarchien immer zum Wohl des Kunden beraten konnte. Das war und ist für mich immer das Wichtigste. An erster Stelle stand immer der Kunde als Ganzes, also der Konzern, oder die Firma. An zweiter Stelle kommen die Interessen meines direkten Auftraggebers.

Dieses Wohl sollte immer an erster Stelle stehen, auch bei den kleinsten Entscheidungen. Die großen Strategien macht die Führungsetage, aber wie gut das Ganze umgesetzt wird, also die Taktik, dafür sind alle Mitarbeiter verantwortlich. Ehrlich gesagt, vermisse ich das bei den meisten Entscheidungen, vor allem bei den Verzögerungen.

Ich persönlich finde es besser, das Risiko zu tragen und in zwei von zehn Fällen falsch zu liegen, als dass ich acht Fälle verzögert habe.

Gesunde Fehlerkultur

Unternehmer und Start-ups sagen gerne "Fail fast, learn fast". Ich weiß, das ist jetzt vielleicht nicht das, was ein Herzchirurg empfehlen würde, aber ich denke, ein paar ungeplante Downtimes in der IT sind verschmerzbar. 😅

Wenn du auch ständig in Entscheidungs-Loops hängst oder selbst Führungskraft bist und Entscheidungen vorgelegt bekommst, die du weitergeben musst, dann sprich das einfach mal offen und direkt bei deinem Vorgesetzten an.

Die Zeit, in der du dir den Mut dafür zusammensparst, solltest du auch gleich produktiv nutzen und die Wartezeiten der Verzögerungen protokollieren. Dann gehst du mit Zahlen, Daten und Fakten bewaffnet ins Gespräch und hast nicht nur haltlose Behauptungen vorzuweisen.

Wenn sich deine Arbeit immer im selben Rahmen bewegt, werden auch diese Entscheidungen ähnlich ausfallen. So kannst du Vorschläge für klare Leitplanken machen, wann du etwas entscheiden darfst, ohne dich rückversichern zu müssen. Du kannst auch gerne auf deine Erfolgsquote bei wichtigen Entscheidungen hinweisen.

Fazit

"Darf er das?" – das ist die falsche Frage.

Die richtige Frage ist: "Was kostet es uns, wenn er es nicht tut?"

Die Firma bezahlt dafür nicht nur teures Geld, denn es kostet nämlich noch viel mehr: Spaß, Innovation und Talent.

Michael Mayer, Modecenterstraße 22, Wien, 1030
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Michael Mayer

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